Background Image
Table of Contents Table of Contents
Previous Page  3 / 12 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 3 / 12 Next Page
Page Background

Ich suchte nach einer passenden Lebensweise, ich tat viel für gute Beziehungen

und bemühte mich um Freunde, Partnerschaft und ein positives menschliches

Umfeld. Mein Leben sollte nicht einfach so dahinplätschern. Gleichwohl

blieb ein unerfülltes Sehnen mein ständiger Begleiter.

Vor dreißig Jahren war ich wieder einmal in Eile auf der Fahrt zu einem

beruflichen Termin. Es war Herbst. Ich fuhr auf einer kleinen gewundenen

Landstraße an frisch gepflügten Feldern vorbei. Es roch nach schwerer, feuchter

Erde. Die rot-braun gefärbten herbstlichen Wälder leuchteten im warmen

Sonnenlicht. Es wäre ein guter Grund gewesen, um anzuhalten und die Natur

mit allen Sinnen wirklich zu erleben. Meine Augen aber waren auf die Straße

geheftet. Ich musste die nächste Kurve so schnell wie möglich nehmen. Den

Straßenrand fixieren, die Biegung der Fahrbahn dahinter einschätzen, so nah wie

möglich am Randstreifen entlang in die Kurve gleiten, Gas geben, um die kurze

Gerade dahinter wieder optimal auszunutzen. Dann die nächste Kurve ansteuern

und die nächste, immer mit der Straße und der Uhr vor Augen, um pünktlich zu

meinem Termin zu kommen. Da war kein Raum, um den Herbsttag zu genießen.

Ich hatte noch nicht einmal gefrühstückt. Ein Apfel lag auf dem Beifahrersitz,

aber bei dem Tempo war nicht einmal dafür Zeit.

Die nächste Kurve beanspruchte meine volle Aufmerksamkeit. Wieder den

Straßenrand fixieren, nah an die Seitenlinie heran und dann, so schnell es die

Biegung zuließ, in die Kurve. Aber diesmal lag ein umgekippter Sattelschlepper

hinter der Kurve. Auf meiner Spur! Die Gegenfahrbahn war mit Flaschen

übersät. Speiseöl, wie ich später erfahren sollte. Zum Bremsen reichte die noch

verbleibende Strecke auf meiner Fahrbahnseite nicht, das war klar. Also auf die

Gegenfahrbahn ausweichen und dort bremsen. Doch die Bremsen reagierten

nicht. Das Auto rutschte geradeaus weiter, direkt auf einen Baum am

Straßenrand. Jeder Lenkversuch war ohne Wirkung. Der Wagen rutschte mit

voller Geschwindigkeit auf den massiven Stamm zu.

In solchen Momenten dehnt sich die Zeit. Eine Sekunde wird zur Ewigkeit

und gibt Raum für hundert Gedanken und Empfindungen. Ein ganzes Leben

kann an einem vorbeiziehen. Der Geruch des Apfels auf dem Beifahrersitz

wurde so intensiv, dass er mich ganz ausfüllte. Mein Leben, meine

Lebendigkeit, meine Lebenslust hing an diesem Apfelgeruch. Es war das

Köstlichste, was ich jemals gerochen hatte. Doch der Baum vor mir würde dem

allen ein jähes Ende setzen.

Meine hektischen Versuche, das Auto wieder auf die Fahrbahn zu lenken, waren

vergeblich. Ich hatte das Empfinden, wie auf Schienen auf den Baum zu

zugleiten. Dann schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: Auf dem

grasbewachsenen Seitenstreifen müssten doch die Räder wieder greifen. Wenn

ich nun einfach versuchte, das winzige Stück Grass am Straßenrand zu nutzen,

könnte ich den Wagen doch an dem Baum vorbei auf den Acker lenken…