Ich suchte nach einer passenden Lebensweise, ich tat viel für gute Beziehungen
und bemühte mich um Freunde, Partnerschaft und ein positives menschliches
Umfeld. Mein Leben sollte nicht einfach so dahinplätschern. Gleichwohl
blieb ein unerfülltes Sehnen mein ständiger Begleiter.
Vor dreißig Jahren war ich wieder einmal in Eile auf der Fahrt zu einem
beruflichen Termin. Es war Herbst. Ich fuhr auf einer kleinen gewundenen
Landstraße an frisch gepflügten Feldern vorbei. Es roch nach schwerer, feuchter
Erde. Die rot-braun gefärbten herbstlichen Wälder leuchteten im warmen
Sonnenlicht. Es wäre ein guter Grund gewesen, um anzuhalten und die Natur
mit allen Sinnen wirklich zu erleben. Meine Augen aber waren auf die Straße
geheftet. Ich musste die nächste Kurve so schnell wie möglich nehmen. Den
Straßenrand fixieren, die Biegung der Fahrbahn dahinter einschätzen, so nah wie
möglich am Randstreifen entlang in die Kurve gleiten, Gas geben, um die kurze
Gerade dahinter wieder optimal auszunutzen. Dann die nächste Kurve ansteuern
und die nächste, immer mit der Straße und der Uhr vor Augen, um pünktlich zu
meinem Termin zu kommen. Da war kein Raum, um den Herbsttag zu genießen.
Ich hatte noch nicht einmal gefrühstückt. Ein Apfel lag auf dem Beifahrersitz,
aber bei dem Tempo war nicht einmal dafür Zeit.
Die nächste Kurve beanspruchte meine volle Aufmerksamkeit. Wieder den
Straßenrand fixieren, nah an die Seitenlinie heran und dann, so schnell es die
Biegung zuließ, in die Kurve. Aber diesmal lag ein umgekippter Sattelschlepper
hinter der Kurve. Auf meiner Spur! Die Gegenfahrbahn war mit Flaschen
übersät. Speiseöl, wie ich später erfahren sollte. Zum Bremsen reichte die noch
verbleibende Strecke auf meiner Fahrbahnseite nicht, das war klar. Also auf die
Gegenfahrbahn ausweichen und dort bremsen. Doch die Bremsen reagierten
nicht. Das Auto rutschte geradeaus weiter, direkt auf einen Baum am
Straßenrand. Jeder Lenkversuch war ohne Wirkung. Der Wagen rutschte mit
voller Geschwindigkeit auf den massiven Stamm zu.
In solchen Momenten dehnt sich die Zeit. Eine Sekunde wird zur Ewigkeit
und gibt Raum für hundert Gedanken und Empfindungen. Ein ganzes Leben
kann an einem vorbeiziehen. Der Geruch des Apfels auf dem Beifahrersitz
wurde so intensiv, dass er mich ganz ausfüllte. Mein Leben, meine
Lebendigkeit, meine Lebenslust hing an diesem Apfelgeruch. Es war das
Köstlichste, was ich jemals gerochen hatte. Doch der Baum vor mir würde dem
allen ein jähes Ende setzen.
Meine hektischen Versuche, das Auto wieder auf die Fahrbahn zu lenken, waren
vergeblich. Ich hatte das Empfinden, wie auf Schienen auf den Baum zu
zugleiten. Dann schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: Auf dem
grasbewachsenen Seitenstreifen müssten doch die Räder wieder greifen. Wenn
ich nun einfach versuchte, das winzige Stück Grass am Straßenrand zu nutzen,
könnte ich den Wagen doch an dem Baum vorbei auf den Acker lenken…