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Tatsächlich kam mein Wagen einige Meter später auf dem Acker zum Stehen.

Mein erster Gedanke galt dem Apfel! Dieses Stück Lebenslust wollte ich

jetzt nicht mehr hergeben! Ich fand ihn im Fußraum. Es dauerte etwas, bis ich

begriff, dass ich den Sicherheitsgurt lösen musste, um aussteigen zu können,

aber dann stand ich mit dem Apfel in der Hand draußen auf dem Acker. Meine

eilige Fahrt war definitiv zu Ende. Ich ging über die aufgepflügte Erde zur

Straße zurück. Der Lastwagenfahrer stand apathisch am Rand, neben dem

Baum, an dem ich fast mein Leben gelassen hätte. Ein Stück Rinde fehlte.

Meine Heckstoßstange hatte sie wohl beim Vorbeirutschen herausgerissen.

Damals wurden Autos noch mit Stoßstangen aus Eisen gebaut. Ich stellte mich

neben den LKW-Fahrer, brach meinen Apfel in zwei Teile und gab ihm einen

davon. Wir standen da und kauten. Der Apfel gab mir den Geschmack des

Lebens zurück. Ich roch die frische Erde und den herbstlichen Geruch des

Laubes. Die Sonne wärmte meinen Körper, der mir so durchlässig erschien wie

noch nie. Ich lebte! Und wie ich lebte! Ich war so wirklich, wie noch nie in

meinem Leben! Das war das, wonach ich mich immer gesehnt hatte! Wirklich-

Sein! So intensiv, so unmittelbar.

Alles aufnehmen. Mit allem verbunden sein. Spüren. Leben. Lieben.

Eine Welle starker Gefühle erreichte mich. „Ich lebe und all dieses Leben um

mich herum ist meine Wirklichkeit!“ In diesemMoment lebte ich so wirklich, so

intensiv und so verbunden wie noch nie zuvor. Das war Wirklich-Sein! Das war

Verbundenheit. Das war Liebe. Liebe zum Leben, Liebe zur Natur, Liebe zu

Diesem apathischen LKW-Fahrer, selbst Liebe zu der unangenehmen Aufgabe,

das Auto irgendwie wieder von diesem Acker herunter zubekommen.

Als ich dann mit großer Verspätung bei meinem Termin eintraf, war ein

Großer Teil dieser Liebe, dieses Wirklich-Seins schon wieder verflogen. Aber

ich wusste: An der Unfallstelle hatte ich das Gefühl erlebt, nachdem ich schon

immer gesucht hatte. Ich konnte es nicht in Worte fassen, nicht begreifen, was

da mit mir geschehen war. Irgendetwas hatte mein Leben berührt und mich

verändert.

Ich hätte das Gefühl dieses winzigen Augenblicks zu gerne wieder für mich

hergestellt. Es war so, als ob ich zum ersten Mal das eigentliche, das wirkliche

Leben geschmeckt hatte. Und dann hatte es sich mir schon wieder entzogen.

Wirklich Sein! Liebe! Darum ging es! Diese Verbundenheit war so

berührend.

In diesem einen Augenblick nach dem Unfall war ich so wirklich wie noch nie!

Womit ich nicht sagen will, dass ich vorher oberflächlich war! Schließlich

meditierte ich regelmäßig und setzte mich mit philosophischen und spirituellen

Gedanken auseinander. Ich hatte eine Zeit in einem Zen Kloster verbracht, kam

aus einer sehr religiös christlichen Tradition und war es als ausgebildeter

Künstler gewohnt, quer zu denken und zu handeln und als Therapeut damit